Rosie

[4:37 am]
Nacht und Tag machen wenig Unterschied zu dieser Jahreszeit. Es ist feucht und kühl. Das Grau der Lampen wechselt gegen einen grauen Himmel. Mehr an der Aktivität der Menschen auf der Straße merkt man den Wechsel als am Wechsel des Lichts. Im Cafe ist es ruhig geworden.

Bevor wir schließen gehe ich gern ein paar Minuten nach draußen. Ich schätze die Gassen hinter dem Cafe. Das Leben dort ist direkt und unmittelbar. Vielleicht treffe ich Rodrigez. Er ist nett. Er ist bestechlich. Ich mag ihn.

Es nieselt beständig. In feinen Tropfen fällt der Regen auf die rissige Straße. Die wenigen echten Lampen kämpfen sich durch den Dunst und schimmern fahl in den Pfützen am Boden. Die Gassen sind schmutzig und Müll stapelt sich an den Hauswänden. Der Regen schillert an manchen Stellen in Farben, die man Wasser nicht zutrauen würde.

Ein pink lackierter Cyborg bückt sich vor einem Stapel Müllsäcke und lockt einen rotbraunen Kater mit einem Becher Sandwichaufstrich. Auf der linken Schulter zeigt sich zerkratzt noch ein Teil der ursprünglichen Lackierung. Adaptives Camo umgibt das Logo der Indestructables, NAC 247th Airborne Division, Light Combat All Environment Disruptive Unit. Behutsam streicheln die mechanischen Hände die nasse Katze während sie frisst.

Es gibt Dinge, die ich vermisse.

Archimedes und Rosie

„Spank him! Spank him!“ Schrill und alarmiert tönt eine mechanische Stimme von hinter der Bar durch den hinteren Teil des Cafes.

Ah, wieder eines der Quick-Tool Kiddies. Ich lächle still und reibe vorsichtig das Glas trocken. So zerbrechlich. Immer wieder versuchen sie Archimedes zu knacken. Ich lasse es zu, es ist Sport für sie. Und immer wieder lustig. Die kleine KI ist erstaunlich wehrhaft.

Fast liebevoll blickt der Cyborg zum bunten Papagei mit seinen zerzausten Federn, der aufgeplustert und entrüstet auf seiner Stange hin und her tänzelt.

„Spank him!!“

Ich bin neugierig. Wer ist es diesmal? Ich konzentriere mich auf Atemgeräusche. Soundfilter werden innerhalb von Mikrosekunden aktiv und blenden alles unwichtige aus. Ich höre leicht beschleunigtes Atmen von einem der Tische in der Ecke weiter hinten. Nein, das hat eher mit der jungen Dame neben ihm zu tun… Und von einem Tisch quer durch den Raum. Zoom auf’s Gesicht. Er ist stark konzentriert. Auf seiner Stirn bildet sich ein Schweißfilm.

*squark!* *squark…*

Ah, Archmides hat ihn. Seine Pupillen weiten sich, dann kneift er die Augen fest zusammen. Seine Hände schießen zu seinem Kopf und bedecken seine Augen. Abschalten Junge, abschalten. Die Alpträume halten sonst Wochen…

Ich stelle das Glas an seinen Platz und berühre den Rand mit einem Finger. So zerbrechlich…

Miez Miez

„Komm Miez Miez!“

Irgendwo muss dieses Biest stecken! Katzen spielen ja gerne Spielchen – besonders mit mir – aber langsam breitet sich der Frust aus.

Na dann – schauen wir mal im nächsten Raum nach…

„Komm Miez Miez!“

Schon mal versucht im Dunkeln eine schwarze Mieze zu finden? Geht schon, ist aber schwer.

Die Dunkelheit nimmt Form an, blitzartige Bewegungen. Auf meinem Schoss fühlt sie sich wohl, ein intensives Schnurren dringt an mein Ohr.

Meine feingliedrigen Finger gleiten durch ihr glänzend schwarzes Fell und finden das Halsband – ich packe zu, es gibt kein Entkommen.

Das entspannte Schnurren wird zu einem zornigen Fauchen doch ich kenne keine Gnade und stecke sie in die Transportbox.

Immer das gleiche Theater wenn ich mir ihr zum Impfen zum Tierarzt fahren muss…

 

Monster

Ich schlafe, das Band ist gestört,
Hast du schon vom Monster gehört?

Ich bin gefährlich, doch kein Tier,
Ich trage ein Monster in mir.

Ich atme schwer, an dein Herz ich klopf,
Ich trag ein Monster im Kopf.

Ich laufe los, ich bin bald hier,
Das Monster ist hier.

Niemand hat es gehört, niemand hat es gesehen,
Das Monster kann jederzeit hinter dir stehen.

Lauf ruhig davon, bleib doch nicht hier,
Das Monster bleibt immer bei dir.

Kampf

Eigentlich war es ein Einsatz wie er langweiliger nicht hätte sein können. Der Raucher hatte mich gebeten aus einem physisch schwer zugänglichen jedoch sonst eher mittelmäßig abgesicherten System heikle Daten zu besorgen.

Was heißt schon heikel heutzutage? In einer Welt der nichts Menschliches (hier muss ich schmunzeln, Menschen sind sowas von oldschool) fremd ist, liegt die Latte für Heikles und Schockierendes schon recht hoch. Im Endeffekt ging es um Beweise für Geldwäsche.

Zusammen mit ein paar anderen „Abenteurerinnen“ hatte ich es geschafft die Sicherheitsvorkehrungen eines eher unscheinbaren Bürohauses zu überwinden. Vor Ort hatte ich über das lokale Netzwerk direkten Zugriff auf das isolierte Rechnersystem. Es war fast zu einfach gewesen.

Fast…

Das System war doch besser geschützt als ich erwartet hatte. Das merkte ich jedoch erst als es viel zu spät war. Fünf zu eins in einem Cyberkampf ist eine recht ausweglose Situation…

Vergesst all die Beschreibungen aus Komödien wie „Matrix“, die Realität ist direkter, ehrlicher, brutaler und blutiger. Das einzige das zählt ist wie gut vorbereitet du bist und wie schnell und effektiv du die Opposition auf  körperlicher und geistiger Ebene zerfleischen kannst.

Zwei Gegnerinnen konnte ich erledigen, dann ging mir die Luft aus. Im konkreten und übertragenen Sinn. Ich verlor den Kampf.

Die Schmerzen wogten in Wellen durch meinen Körper. Schreie die nichts Menschliches (oldschool again) mehr an sich hatten lösten sich aus meiner Kehle.

Warum muss selbst in den letzten Momenten des Daseins alles so stereotypisch ablaufen? Hatte ich kein Recht auf einen individuellen Exitus?

Wie auch immer, ich spürte wie mein Geist meinen zerschlagenen Körper verließ und auf ein Licht zuschwebte. am1n3 war frei, das Band durchschnitten.

Nüchtern betrachtet war das der Wendepunkt im Kampf, für meine Gegnerinnen war es der Anfang eines doch recht grausamen Endes. Kurzversion: wenn dich eine entfesselte KI tot sehen will bist du tot. Nicht sofort, du stirbst langsam, individuell und auf völlig neuartige innovative Weise.

Ich habe lange Zeit später die Bilder der Leichen gesehen. Erschreckend, was von einem gegen sich selbst kämpfenden Wesen übrig bleibt.

Meine Begleiterinnen haben meinen fast leblosen Körper aus der Gefahrenzone gebracht. Sarah und eine befreundete Ärztin brauchten mehr als ein Monat um mich wieder auf die Beine zu bringen.

Die gesuchten Daten hatte sich am1n3 dann doch geholt. Das ist das einzige was für den Raucher zählt. Und ich hatte überlebt, das zählt für mich.