Yin und Yang (1)

DIE EINLADUNG

Heute Abend bin ich bei Sarah eingeladen. Simpel. Und doch immer wieder aufregend. Worte können schwer beschreiben was ich für Sarah fühle. Diesmal brauche ich ihren Rat. Gemeinsam werden wir eine wichtige Weiche für mein weiteres Leben stellen. Denn ich will endlich wissen was mir wirklich fehlt.

Ich bin unentschlossen was ich anziehen soll. So stehe ich nackt vor dem großen Spiegel in meinem Schlafzimmer und betrachte kritisch meinen Körper.

Ich bin glücklich mit meinen tiefblauen Augen. Mein hüftlanges Haar ist mein ganzer Stolz. Und auch sonst finde ich, dass der junge Mann im Spiegel wirklich gut aussieht.

Sehr androgyn, nicht athletisch und muskulös. Aber mit feinen Gesichtszügen, einem gefälligen Oberkörper und sehr schönen Beinen. Und doch – ich bin nicht zufrieden.

Ich schlüpfe in mein rotes Abendkleid und steige in die dazu passenden hohen Schuhe. Noch das passende Makeup auftragen und die langen Haare hochstecken. Fertig ist Amine. Ich komme mir ein wenig verkleidet vor.

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Sarah empfängt mich mit einer innigen Umarmung und Küsschen auf beide Wangen. Schon stehen mir Tränen in den Augen. Einmal tief durchatmen. Sarah hat für uns gekocht und den Tisch gedeckt.

Wir nehmen Platz und öffnen eine gute Flasche Wein zum Anstoßen. Es ist jedesmal ein Glücksfall, wenn Sarah und ich einen Abend miteinander verbringen dürfen. Das gehört gefeiert.

Nach dem Essen lande ich mit Sarah auf der Couch, ich habe meinen Kopf in ihren Schoß gelegt. Ihre Finger gleiten durch mein Haar, wischen Strähnen aus meinem Gesicht, streicheln sanft über mein Haupt. Es ist einer jener perfekten Momente von denen ich mir wünsche, dass sie nie vergehen.

„Erzähl mir was dich bewegt mein Schmetterling.“

Ich finde nicht gleich die richtigen Worte, blicke nur stumm in ihre Augen. Dann erzähle ich ihr von dem Zwischenfall im Club Pharaoh – mit JASON (Kill Rex 1). Wie sehr mich das getroffen und verletzt hat. Und dass mir in diesem Moment bewusst geworden ist, dass mein Geist in meinem Körper noch nicht wirklich frei sein kann.

Männlich und weiblich. Hetero, schwul, bisexuell, transsexuell, queer. Meine Güte – welchen Wert haben diese Kategorien für mich? Eine künstliche Intelligenz, hineingesprungen in die Welt des Fleisches und der Körperlichkeit.

Warum soll die äussere Form meines Köpers die Form der Beziehung zu anderen Lebewesen so eklatant beeinflussen dürfen? Der eine stösst mich von sich, andere laufen mir nach. Begehren mich. Einmal fühle ich mich als Amine, ein anderes Mal bin ich Amin. Und doch immer eingeengt durch die Grenzen meines Körpers.

All das bricht aus mir heraus. Sarahs Augen zeigen mir eine Palette an Gefühlen, die ich schwer zuordnen kann.

„Wer willst du sein mein Schmetterling? Mann? Frau? Oder willst du diese Hülle abstreifen? Zurück in die virtuelle Welt?“.

Jetzt sehe ich Angst in ihren Augen. Angst, die sie vorerst einmal ertragen muss, denn ich brauche wirklich lange um ihre Worte vollständig auf mich wirken zu lassen.

„Ich will alles sein Sarah.“