Yin und Yang (2)

ATEMLOS

Lange schaut mir Sarah in die Augen. Erforscht sie. Und ich versichere ihr immer und immer wieder, dass sie mich nicht verlieren wird.

Lange halte ich Sarah in meinen Armen. Ihren Kopf an meiner Schulter. Jede ihrer Tränen hat mir weh getan.

Lange denken wir nach wohin ich mich wenden kann. Sarah wird sich umhören. Doch eines ist uns klar – dass ich meine Verwandlung überleben werde steht nicht fest. Zu radikal und tiefgreifend werde ich mich verändern.

Die Zeit für den Abschied ist gekommen. Sarah umarmt mich nochmals fest, ich lasse sie auch nicht los. Ich blicke tief in ihre Augen. Und dann plötzlich drückt sie ihre Lippen auf meine. Ein inniger Kuss. So unerwartet. Die Lawine an Gefühlen, die er auslöst kann ich nicht beschreiben. Es ist so richtig und gleichzeitig doch so falsch.

„Pass auf dich auf, mein Schmetterling. Ich melde mich sobald ich gefunden habe wonach du suchst.“

Damit überlässt sie mich meinen Gedanken. Es tut beinahe körperlich weh mich umzudrehen und zu gehen.

ZORN

Ich fahre den langen Weg nach Hause. Ich brauche das fast meditative Dahingleiten auf meinem Motorrad. Doch wieder einmal ist mir keine Ruhe gegönnt. Drei dunkle Gestalten – ebenfalls auf Bikes – tauchen in meinem Rückspiegel auf. Sie kommen rasch näher.

Für sie muss ich wie leichte Beute wirken. Das perfekte Opfer. Angst schnürt mir die Luft ab. Ich will schon einen Hilferuf über mein TAP absetzen als ich plötzlich innehalte.

Roher Zorn steigt in mir auf. Blanke, heiße Wut. Ich habe es satt mich zu fürchten. Kein Ducken mehr, kein sich klein machen. Keine kleine Amine mehr, die sich hinter anderen verstecken muss. ES REICHT!

Ich schalte mein Bike in den Performance-Mode. Der Lack wird schlagartig pechschwarz. Die Beleuchtung schalte ich ebenfalls ab – ich sehe perfekt im Dunkeln.

Ich kenne die Gegend hier perfekt – und ich habe einen Plan. Mit dem Beschleunigungsregler im roten Bereich schieße ich davon. Und gewinne schnell Abstand zu meinen Verfolgern. Einbiegen in die nächste Seitenstraße, abgestiegen. In Deckung gegangen hinter ein paar Mülltonnen.

Die Biker kommen ebenfalls um die Kurve geschossen, halten bei meinem Bike. Wunderbar – genau wie ich es geplant habe.

Ein Befehl über mein TAP und die Stroboskop-Blitze mit denen ich mein Bike ausgerüstet habe schalten sich ein. Einen Bruchteil einer Sekunde später sind meine Verfolger nahezu blind. Und ich habe meinen Revolver in der Hand. Ziele auf den Oberkörper des Anführers.

Sie haben verloren – sie wissen das. Rühren keinen Muskel. Warten ab. Und mein unbändiger Hass lodert nochmals höher. Mein Finger krümmt sich langsam um den Abzug. Ich will Blut sehen. Sie auslöschen. Diesen Abschaum.

Doch dann komme ich wieder zu Sinnen. Drei Tote wofür? Nur um der Welt zu beweisen, dass ich beschlossen habe mich nicht mehr herum schubsen zu lassen?

Mit ruhiger Stimme erkläre ich den dreien – Himmel das sind ja noch fast Kinder – dass es keine so gute Idee ist mich zu ärgern. Und dass sie nächstes Mal nicht so leicht davonkommen werden. Danach schicke ich sie einfach weg.

Der Weg nach Hause verläuft dann ohne weitere Irritationen. Es dauert einige Zeit bis mein Adrenalinspiegel wieder normal ist. Aber ich fühle mich wunderbar lebendig. Energiegeladen. Und souverän. Ich bin bereit für den nächsten Schritt in Richtung meiner Verwandlung. Ich warte sehnsüchtig auf Nachricht von Sarah…