LORNA
Ich hasse Langweile. Herumsitzen in meinem kleinen Apartment. Keine Nachricht vom Rest der Runde. Nach dem Mord an Lorna haben wir eine kleine Auszeit gebraucht. Nachdenken, das Erlebte verarbeiten. Neue Pläne schmieden. Ich habe ein, zwei gute Ideen wie ich Lornas Mördern kräftig in die Suppe spucken werde. Aber noch ist nicht die Zeit dazu.
Nach der Begegnung mit dem Wolf ist mir das Logo auf dem Kampfanzug seines Jägers nicht aus dem Kopf gegangen. Wie eine juckende Stelle am Körper, die man nicht kratzen kann, plagt mich die Erinnerung.
Aber wozu hab ich jede Menge Credits mit denen ich nichts anfangen kann? Ich hol mir Hilfe bei Raffaella. Bilder vom Wolf, Bilder vom Logo – mach was draus.
Ich mag nicht tatenlos auf ihre Ergebnisse warten. Was mach ich mit meiner Zeit? Eine Line Kokain ziehen? Sinnlos, dann bin ich nur noch aufgedrehter. Nach menschlicher Nähe ist mir auch nicht obwohl Annabelle sicher erfreut wäre mich zu sehen.
Also wieder einmal rauf aufs Motorrad, Waffen und Munition sind immer dabei. Don’t leave home without them.
RITUAL
Ziellos fahre ich durch Denver, durch Vororte, heruntergekommene Industrieviertel. Vorbei an trostlosen Wohnblöcken. Licht aus, die Umgebung wird monochrom, nur noch der Infrarotanteil fällt auf meine Augen.
Vor einem niedrigen Gebäude hat sich eine kleine Menge versammelt. Einige Hoffnungslose, schlecht gekleidet, schlecht genährt. Dazwischen wohlhabendere Menschen. Ein oder zwei die direkt aus den Bürotürmen von Downtown hierher gekommen sind. Sie haben alle scheinbar nichts gemeinsam, nichts Verbindendes.
Auf dem Dach des Gebäudes ein Masten auf dem ein großes, metall-glänzendes Symbol angebracht ist. Meine erste Assoziation ist – religiös?
Ich steige ab. Gehe auf die Menge zu. Niemand sieht mich verwundert an. Meine Motorradkluft und die sichtbar getragene Waffe – kein Thema. Ein Augenblick nur und dann ist aus dem Individuum eine von vielen geworden, die nun das Innere des Gebäudes betritt.
Das Innere der „Kirche“ ist nicht weniger heruntergekommen als das Äußere. Nur die Front des Raums ist schneeweiß gehalten, die Wände, die Decken, der Boden. Ein großer Metall-Tisch zieht meine Blicke magisch an. Was wohl unter dem großen weißen Tuch verborgen ist?
Die Messe beginnt – ich habe keine andere Bezeichnung. Psychedelische Musik, warm-weißes Licht und ein Geruch, den ich nicht zuordnen kann. Die meisten hier kennen den Ablauf offensichtlich – sie fallen in den Rhythmus eines gemeinsamen Gesangs. Und auch ich kann mich dieser Energie nicht verschließen.
Hier wird – zu meiner Überraschung – kein Gott verehrt. Kein höheres Wesen um Hilfe und Gnade angefleht. Nur als immer wieder kehrendes Motiv die Gemeinschaft der hier versammelten beschworen.
Die Leiterin des Rituals ist in eine simple rote Robe gehüllt. Ihr Gesicht hinter einer silberfarbenen Maske verborgen. Dunkle Haut, muskulös, drahtig. Und eine engelsgleiche Stimme mit der sie alle Gläubigen begrüßt, in der Gemeinschaft willkommen heißt.
Das Ritual strebt seinem Höhepunkt zu. Die Leiterin zieht das weiße Tuch vom Altar und enthüllt eine Reihe hoher Kelche.
„Kommt meine Kinder und trinkt mit mir. Feiern wir unsere Zusammenkunft und unsere Gemeinschaft!“
Einer nach dem anderen tritt an den Altar, trinkt aus dem Kelch. So viel Glück in den Gesichtern danach. Als ob das ein Schluck reiner Energie wäre. Und auch der körperliche Ausdruck ändert sich – aufgerichtet, glücklich, stolz.
Eine gesunde Portion Misstrauen hält mich davon ab es ihnen gleich zu tun. Bald danach ist die Zusammenkunft beendet und ich fahre – sehr nachdenklich – wieder durch die Nacht.