PROLOG
Endlich einmal raus aus der Großstadt, in die umliegenden Wälder.
Zeit zum Ausruhen, einfach abschalten, ruhige Gedanken, Frieden.
Im Schatten eines Baums, auf einer Decke, auf dem Rücken liegen.
Die Augenlider werden schwerer, unmöglich die Augen offen zu halten.
Schlaf – abdriften in die Dunkelheit – kein weiterer…
EINS
Adrenalin! Mir pocht das Herz bis zum Hals, auftauchen aus dem Tiefschlaf.
Jede Bewegung zu langsam, mir fehlt das Balancegefühl, taube Gliedmaßen.
Und doch zählt jeder kleine Augenblick.
Ein weiterer Schrei, dazu ein tiefes agressives Brüllen.
Weit aufgerissene Augen sehen zwei Gestalten. Losgelöst aus dem Schatten am Rand der Lichtung.
Ein Kampf auf Leben und Tod – Blut, so viel Blut. Klaffende Wunden.
Zu langsam bekomme ich meinen Revolver zu fassen. Viel zu langsam.
Distanz – das kann nicht die Realität sein – doch…
So muss das in den Arenen ausgesehen haben – Gladiatoren kämpfen mit wilden Tieren.
Die humanoide Gestalt im Hightech-Kampfanzug gegen einen Werwolf?
ZWEI
Für einen Augenblick ist der Hightech-Kämpfer durch mich abgelenkt.
Ein Augenblick reicht um ein Genick zerbrechen zu lassen, zermahlen zwischen kräftigen Zähnen.
Keine fünf Meter trennen mich von diesen Zähnen. Bernsteinfarbene Augen ruhen auf mir.
Ich habe keine Muskeln übrig, die meinem Willen gehorchen. Ich kann nicht die Augen vom Wolf nehmen.
In welchem Gen-Labor ist dieser Fleisch gewordene Alptraum auf diese Welt getreten?
Gesträubtes Nackenfell, hoch getragene Rute, die Ohren nach vorn gerichtet, die Lefzen hochgezogen.
Jeder Muskelstrang angespannt.
Wo sind meine Manieren? Ich wende meinen Blick ab, drehe den Kopf weg, blicke zu Boden, erweise auf animalische Weise meinen Respekt.
Die Machtverhältnisse sind klar – hier bin ich nicht der Alpha.
Einige Augenblicke genügen – ich bin keine Bedrohung. Entspannung. Mein Reptiliengehirn (ha!) hat instinktiv die richtige Entscheidung getroffen.
DREI
Ausatmen – die Anspannung verlässt mich ein wenig. Ich habe zum ersten Mal Gelegenheit die Kreatur vor mir vollständig wahrzunehmen.
Zögerlich zu bewundern.
Der Wolf ist nun direkt vor mir – blutverklebtes Fell, einige klaffende Wunden. Sichtlich geschwächt.
Bilder tauchen in meinem Kopf auf. Empfindungen, die nicht meine sind. Direkt, ohne Worte, telepathisch.
Eine intensive Nähe zwischen zwei Wesen, die unterschiedlich nicht sein könnten.
Ich kann helfen – es ist das einzige was mir richtig erscheint. Ich säubere vorsichtig die Wunden.
Wundkleber, Nanotechnologie, Antibiotikaspray – ein Verbandskasten auf Steroiden.
Ich kann helfen – so ist es gut.
VIER
Respektvoll wende ich mich ab, gehe langsam zu meinem Motorrad. Verlasse den Wald.
In meinem Kopf ein Bild des Logos auf dem Kampfanzug.
Der Wolf bleibt auf der Lichtung zurück – ein kleiner Teil seiner Gedanken und Empfindungen bleibt bei mir.