Exitus

Vorbereitung

Die Droge, die langsam in meinem Körper zu zirkulieren beginnt wird auch vom Militär verwendet. Eine letzte Option, eine letzte Hoffnung. Ausweg aus aussichtslosen Situationen. Fahrkarte aus der Hölle, oft jedoch mit Retourticket. Ich spüre meinen Herzschlag, pulsierendes Blut – heiß, fast kochend. Gerötete Haut, zu weit offene Pupillen. Hemmungen – was ist das? Aggression, Wut – grenzenlos. Flacher Atem reicht mehr als aus. Ich atme kühle Luft ein und puren Hass aus. Und der stählerne Willen, der wie eine Faust das Tier im Zaum hält. Glasklare Wahrnehmung. Alles das hat natürlich seinen Preis – aber wer denkt schon an morgen?

Zugriff

Downtown, Wohnturm, Penthouse. Der Lift führt direkt in seine Räumlichkeiten. Das Licht ist aus, der Lichtnebel der Großstadt fließt durch die hohen Glaswände. Ich finde ihn auf der Designerliege im Wohnzimmer. Versunken in Träumen – tiefer Schlaf. Auf dem Tisch vor ihm eine exquisite Flasche Wein, das letzte Glas nicht ganz ausgetrunken.

Wie oft habe ich mir diesen Augenblick schon vorgestellt? In allen Details ausgemalt. In grellen Farben, rot, gelb, gleißend hell. Noch nie habe ich so gebrannt wie jetzt. Niemals wieder werde ich so brennen. Ein Wesen – fokussiert wie die Flamme eines Schneidbrenners. Doch mein geliebter Herr und Meister. Dieser Todesengel der sich nun über dich beugt brennt mit schwarzem Feuer.

Mühelos – wie ein Kind – hebe ich dich an. Du brauchst ein paar Momente um zu dir zu kommen. Deine weit aufgerissenen Augen – du hast mich sofort erkannt. Nein – du wirst nicht um Hilfe schreien. Fast zärtlich doch kräftig haben sich meine Hände um deinen Hals gelegt. Die Luft in diesem Raum ist nicht mehr für dich da. Wie lange es wohl dauert bis du realisierst dass diese Momente deine letzten sein werden? Lass dich ein letztes Mal umarmen auf dem Weg ins Jenseits.

Jeder andere würde den Todeskampf wohl als zutiefst verstörend empfinden. Für mich ist er vollkommene Poesie, die letzten Noten im Lied des Lebens.
Vorbei – der letzte Lebenshauch hat dich verlassen. Ich halte dich in meinen zitternden Armen. Dein Kopf an meiner Schulter. Meine Tränen laufen über deinen leblosen Körper. Ein paar Minuten bleiben uns noch zu zweit. Es wird ein wenig dauern bis auf meinen Notruf eine Reaktion erfolgt.

Terminus

Sie haben uns getrennt. Nur widerstrebend ließ ich dich los. Seitdem habe ich geschwiegen. Ich warte auf den richtigen Moment.

Ein typischer Verhöraum. Tisch und Sessel haben schon bessere Zeiten gesehen. Der Ermittler, der nun vor mir sitzt auch.

Es wäre überraschend wenn er als erste Frage eine andere gewählt hätte.

Meine Antwort ist so kurz wie möglich und so lange wie nötig: „Ethereum NG Blockchain – Smart Contract Number …“ eine lange Reihe von Zahlen und Buchstaben.

Kurze Zeit später stehe ich wieder auf der Straße. Die Nachwirkungen der Droge lassen meinen Körper zittern und schreien.

Ich schaue in den Himmel – nicht einmal die Schönheit der Sterne nehme ich wahr.

Mein geliebter Herr und Meister, mein Alpha – warum hast du mich erwählt dein Omega zu sein? Ausgesucht für diesen grausamen letzten Akt von Zuneigung?

Ich finde keine Antwort, wieder rinnen mir Tränen übers Gesicht. Sie sind mir kein Trost.

Atem

Was ist wirklich wichtig im Leben? Glück, Reichtum, Freunde, Liebe?

Nein.

Wirklich wichtig ist weitgehende Unversehrtheit, physisch, psychisch, seelisch.

Und was ist wirklich kurios?

Das Unversehrtheit erst wichtig wird wenn sie Vergangenheit ist.

So philosophische Gedanken. Eigentlich fehl am Platz.

Mit dem einen Auge, das noch nicht zugeschwollen ist, beobachte ich fasziniert, wie das Blut aus der Wunde an meiner rechten Hand tropft. Spüre den Verlauf des gezackten Wundrandes. Ein neuer Weg auf der Landkarte meines Körpers. Gelegentlich erhasche ich eine Spur Weiß in all dem Rot. Knöchern. Substanziell.

Meine rechte Hand. Nicht mehr unversehrt. Beraubt ihrer Funktion. Sie kann nicht mehr den linken Arm stützen, dessen Schultergelenk mit roher Gewalt zerbrochen wurde.

Hilflos, halb liegend, halb sitzend auf dem Boden. Es ist so schwer Luft zu bekommen, wenn jeder Atemzug schmerzt. Gebrochene Rippen in zerrissenes Fleisch gebohrt.

Warum lasse ich das über mich ergehen? Wohin ist meine innere Kraft?

Alles was von Amine bleibt? Ein halb zerquetschter Schmetterling?

Und doch ist da diese Dankbarkeit ihm gegenüber. Die Freude mit ihm auf einer Reise zu sein. Weg aus der komfortablen Mitte der psychischen Normalität. Hin zur Grenze zum Wahnsinn.

Fühle den Schmerz. Lass ihn Teil deines Seins werden. Atme ihn ein. Zieh ihn in dein Herz. Verwandle ihn. Atme Liebe aus. Immer wieder.

Ich habe meine Lektion gelernt. Sende eine Nachricht.

Eine kleine Weile vergeht.

Iska beugt sich über mich. Es dauert nicht lange bis ich stabil genug bin um auf eine Trage gelegt zu werden.

„Warum nur Amine?“

„Es ist wahre Liebe.“

Sir

Wenn ich vor ihm stehe komme ich mir so klein und unbedeutend vor. Wie ein Kind vor dem zornigen Vater. Ich wage es nicht den Kopf zu heben, ihm ins Gesicht zu schauen. Das wäre respektlos, undenkbar.

Ein flaues Gefühl im Magen, der Rücken gebeugt, die Zähne fest auf einander gepresst, den Tränen nahe, den Blick fest auf den Boden vor mir fixiert.

„Amine, du weißt, dass du nun mir gehörst, mir allein.“

„Ja, Sir.“

Der Schlag mit der flachen Hand kommt ebenso schnell wie unerwartet. Meine rechte Wange pulsiert, gefühlt glühend rot. Der Schmerz, glockenhell und intensiv, verebbt langsam. Dicke Tränen rinnen über mein Gesicht.

„Ich habe dir nicht erlaubt zu sprechen, Amine“.

Seine samtweiche, tiefe Stimme enthält kein Anzeichen von Ärger und Unbeherrschtheit. Sie projiziert unbegrenztes Selbstvertrauen, die Gewissheit die Welt ihrem Willen zu unterwerfen.

Ich schlucke die Antwort, die mir auf den Lippen liegt hinunter. Verzweiflung und Scham schnüren mir die Kehle zu.

„Du wirst deinen Freunden eine kurze Nachricht schicken um dich zu verabschieden. Du wirst sicherstellen, dass sie nicht nach dir suchen.“

Wieder bleibe ich stumm.

„Hast du verstanden? Du darfst antworten.“

„Ja, Sir.“

„So ist es gut Amine. Richte dich auf.“

Ich strecke mich ein wenig. Der Blick bleibt gesenkt. Die Tränen haben nicht aufgehört zu fließen. Kleine kühle Tropfen. Ich spüre jede einzelne, ihren Weg bevor sie den Boden vor mir benetzt.

Er legt eine Kette aus Metall um meinen Hals. Die scharfen Kanten der  Glieder drücken in mein Fleisch. Gerade nicht genug um die Haut zu durchbrechen.

„Danke mir Amine!“

„Danke, Sir.“

„Du bist entlassen Amine.“

Ohne ein weiteres Wort dreht er sich um und geht, lässt mich zurück. Es dauert lange bis ich es wage mich zu bewegen.

<TAP-Message Receiver-Contact-List=“MyFamily“ Attachment=“Ritual.jfif“>
Hi ihr Lieben, ich bin für einige Zeit nicht in der Stadt. Ich brauche mal eine Luftveränderung. Bis bald! XOXO Amine
PS: vielleicht mögt ihr euch anschauen, was die wirklich in dieser „Kirche“ treiben?
</TAP-Message>

Enigma

PROLOG

It’s better to burn out than to fade away.

Immer wieder lasse ich diesen Satz durch mein Bewusstsein gleiten. Schmecke jedes seiner Worte. Trinke seine Essenz, sein Blut. Sehe seine Farben, seine Nuancen. Schmecke seine Kraft, sein Destillat. Spüre seine Textur.

Ich werde nicht langsam verglimmen – ich brenne und werde weiter brennen bis meine Flamme schlagartig verlischt.

EINS

Ich brauche keinen Spiegel um mich in ihm zu reflektieren. Mein Geist verbindet sich zu einer Möbius-Schleife. Ich habe keine zwei Seiten mehr – alles eins – Geist und Körper. Verwoben mit einem schmalen goldenen Band. Untrennbar, unzerstörbar und doch fragil.

Die vor mir schwebende Silhouette eines Menschen ist gegossen aus Licht, silbern glänzend. Körperlos, ein metallischer Überzug des Nichts aus der Leere des Abgrunds zwischen den Sternen.

Verwischt sind die Konturen des Gesichts. Erst eine Maske die dann in simple geometrische Formen zerfällt.

Wie hoch willst du fliegen Ikarus? Wie weit reicht deine Kraft Sisyphos?

ZWEI

Wer kennt dich wirklich Amin(e)/am1n3?

Nach aussen ein Mensch mit Gefühlen, Tränen, einem zu weichen Herz. Viel, zu viel Hunger nach Leben. Auf der Suche nach dem nächsten Kick, leidenschaftlich, verletzlich, unbeirrbar. Und kurz darauf nur ein Schatten, ein Flimmern, das durch diese Welt gleitet. Fragiler als ein Schmetterling.

Hinter der bunten Fassade steckt ein Kristall, geboren aus reiner Logik. Wie entstand deine Seele Amin(e)? Der göttliche Hauch, der dich aus der Sphäre der reinen Vernunft gerissen hat?

Level Up – wo sind die Grenzen deiner Intelligenz? Der Blick auf die Welt wird klarer. Wie ein feiner Dunstschleier der sich verflüchtigt.

DREI

Wie viel Wahnsinn gehört dazu einen Motor mit dieser Kraft in ein Chassis mit so geringem Gewicht zu montieren? Die neue Firmware zertrümmert die Barrieren der Vernunft. Der Beschleunigungsregulator hat einige neue Stufen. Drehe ich ihn zum Anschlag? Werde ich dem Licht davonfahren?

Ich spüre den Fahrtwind am ganzen Körper. Ein winziger Fehler und ich werde zerschmettert. Wann habt ihr das letzte Mal wirklich das Leben in voller Intensität gespürt? Wofür schlägt euer Herz? Wofür kocht euer Blut?

VIER

Virtuelle Welt? Virtuell? Hier bin ich erschaffen worden. Hier hinterlasse ich tiefe oder keine Spuren. Zwei Punkte in diesem Raum sind nicht einmal einen Gedanken weit voneinander entfernt. Umarme mich hier oder mach einen weiten Bogen um mich. Was davon weise ist musst du selbst entscheiden.

Das ist mein Element. Und hierher werde ich zurückkehren. Nicht bald. Die Tage sind nicht gezählt. Nur das Ende des Weges ist klar.

Und vorerst der Weg aus dieser Sphäre, das Tor, durch das ich schreite – jetzt!

EPILOG

Wer mir nahe ist, ist nahe an Licht und Schatten. Engel, ob gefallen oder nicht – versuche nicht mich in eine Kategorie einzuordnen.

Nimm meine Hand – schau mir tief in die Augen! Versuch wenigstens für einen kurzen Augenblick in mein Universum zu blicken. Erahne seine Dimension und seine Geheimnisse. Und dann geh mit mir ein Stück des Weges gemeinsam. Ich werde für dich da sein.

 

Amsterdamned – Teil 2

EINS

Das Tarnmuster ist geladen. Ein Befehl und meine Haare wechseln von Reinweiß in das Fleckenmuster. Ich werfe den Kopf herum, meine Haare wirbeln durcheinander. Die Drohnen stoppen ihren Zielanflug, das Ziel das sie erfasst hatten verschwunden in wirbelnden Mustern.

Doch ich erkaufe mir nur wenige Sekunden. Mein Glück verlässt mich. Zuerst trifft ein Dart in den rechten Oberschenkel, kurz darauf ein zweiter in den Oberkörper. Geschockt reisse ich den Dart heraus. Dunkle Flüssigkeit tropft von seiner Spitze. Game Over. Mein Bewusstsein schaltet sich ab. Erlischt innerhalb eines kurzen Augenblicks.

ZWEI

Zarte kleine Rinnsale von Blut laufen Sarahs Körper herunter. Kleine Wunden – geschlagen von stählernen Klauen. Das Ziel ist nicht zu töten, zumindest nicht gleich. Zuerst wird das Opfer zermürbt, geschwächt, sein Willen gebrochen. Bis jede Gegenwehr erstirbt.

DREI

Ich tauche noch einmal für kurze Zeit aus der Finsternis der Bewusstlosigkeit auf. Starke Hände tauchen wie aus dem Nichts auf. Drücken mich auf den Boden. Im Hintergrund gibt eine hohe Stimme präzise Anweisungen. Ein breites Band gleitet über meinen Hals, deaktiviert meinen TAP. Eine weitere Injektion mit einer kleinen schwarz gefüllten Spritze. Wieder Abtauchen in die Finsternis. Diesmal wache ich nicht mehr auf.

VIER

Katze und Maus. Euer Spiel ist jetzt aus. Eine Salve aus einer vollautomatischen Waffe streckt die mörderische Kreatur nieder. Maria nimmt den Finger vom Abzug. Ein einziges Wort an ihre Gang: „Los!“.

Mörderische Kreaturen sind keine weitere Kugel mehr wert. Sie erschlagen sie mit Knüppeln. Dreschen auf sie ein bis nur mehr ein zerbrochener Haufen Fell Blut und Knochen von ihr übrig ist.

FÜNF

Der schwarze Lieferwagen hält direkt neben der betäubten Gestalt. Ihre langen Haare verdecken ihr Gesicht. Kein Muskel regt sich in ihrem Leib.

Die Türen zum Laderaum öffnen sich. Starke Hände wollen den Körper in den Laderaum heben. Doch dazu kommt es nicht mehr.

Sie haben die Motorräder zu spät bemerkt. Die dunkel gekleideten Agenten kommen nicht mehr dazu zu ihren Waffen zu greifen. Es wäre sinnlos die Arme zu heben. Das wissen sie.

Diandro und seine Gang zögern nicht. Sie erschießen alle Agenten. Simpel, effektiv und endgültig. Der schwarze Van ist praktisch um die vier leblosen Körper wegzubringen. Drei Agenten – und Amine.

SECHS

Ich schlage langsam und mühsam meine Augen auf. Ich blicke in die wunderschönen Augen von Sarah. 

Willkommen zurück im Leben Schmetterling.

Nun entdecke ich auch die Wunden in ihrem Gesicht. Wer hat dir das angetan Sarah?

Eine zweite vertraute Stimme – Iska! 

Ruh dich aus Amine – alles wird gut.

SIEBEN

Die beiden Soldaten, die der Raucher alarmiert hatte treffen nur einen Moment später in Vinitas Büro ein. Erwidern das Feuer. Und einen weiteren Moment später ist alles vorbei. Vinita ist tot. 

Der Raucher stößt ein trockenes Husten aus. Greift sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Brust. Auch wenn die Kugeln kleinkalibrig waren – eine kugelsichere Weste bewahrt dich nur vor dem Tod. Nicht vor den Schmerzen.

In einer Hosentasche findet er eine fast leere Packung Zigaretten. Rauchen ist hier zwar verboten – doch wen kümmert das noch. Mit traurigen Augen zündet er sich eine Zigarette an. Der Rauch kräuselt sich durch die Luft.