Finsternis

EINS

Ich kenne das Gefühl, diese mir wohl bekannte Schwärze, die meine Seele wie Krebs befallen hat. Diese unerträgliche Mischung aus Angst und Traurigkeit.

Angst – die Angst alles zu verlieren, das mir im Leben etwas bedeutet. Jeden einzelnen geliebten Menschen aus dem Leben gerissen zu bekommen. Die Unfähigkeit auch nur das kleinste bisschen Sonnenschein festhalten zu können.

Traurigkeit – die Traurigkeit die mir den Blick aufs Leben verdunkelt, die das Strahlen meiner Augen erlöschen lässt. Die mir jeden Funken Energie aus dem Leib zieht. Die mich niederzwingt und mich lähmt.

Dazu dieses Empfinden der Taubheit, der Distanz zur Welt um mich.

Ich sitze auf der Couch. Den Kopf stütze ich mit beiden Händen. Die Arme auf dem Knien abgestützt. Der letzte Schritt vor dem Zusammenbruch. Physisch und psychisch.

Meine langen Haare hängen vor meinem Gesicht. Sie wirken ungepflegt und verfilzt. Aus meinen Augen fallen langsam aber stetig einzelne Tränen auf den Boden. Lautlos. Ich habe keine Kraft mehr für Laute der Trauer.

ZWEI

Das unscheinbare Holzkistchen ist noch immer am selben Platz versteckt. Langsam und mit zitternden Fingern klappe ich den Deckel auf. Ich nehme jeden einzelnen kleinen Klarsichtbeutel heraus und lege ihn auf Boden vor mir.

Was für eine Sammlung! Grüne, getrocknete Pflanzenknospen. Pulver, so weiß wie der Schnee. Kristallstaub in dem sich das spärliche Licht glitzernd reflektiert. Nüchterne Tabletten mit umso fröhlicheren aufgeprägten Piktogrammen. Eine zuckerartige Substanz – so rot wie Schneewittchens Lippen.

Und dann ist da noch etwas. Ein silbernes Etui. Das wunderschöne Äußere bildet einen fast schmerzhaften Kontrast zum Inhalt. Auf schwarzen Samt gebettet liegt eine einzelne Spritze. In ihrem Körper hält sie eine schwarze Flüssigkeit. Sie verspricht Erlösung aus diesem Tal der Dunkelheit. Erlösung von Trauer und Schmerz.

Wie ferngesteuert greife ich nach der Spritze, entferne die Schutzkappe über der Nadel. Halte sie vor meine Augen. Der flackernde Ausdruck von Emotion in meinen Augen könnte beinahe Liebe sein. Lass uns gemeinsam fortgehen – flüstere ich ihr zu. Fort für immer. Die Nadel ruht in meiner Armbeuge. Fast glaube ich das Pochen des Blutes in meinen Adern zu fühlen als die Spitze der Nadel meine Haut durchstößt.

DREI

Was hat Sarah mir zum Abschied zugeflüstert? „Ich lass dich los Schmetterling.“

Ihr Gesicht taucht vor meinem geistigen Auge auf. Mühsam löse ich mich aus der Dunkelheit der Erinnerung, die mich ungebeten überfallen hat. Ich drücke die Tür in meinem Unterbewusstsein zu.

Die Rückkehr in die Realität dauert lange. Ich zittere noch immer, schweißnass vor Angst. Und genauso ungebeten fällt mir ein Zitat von Friedrich Nietzsche ein.

„Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“

Danach falle ich in einen tiefen, traumlosen, erlösenden Schlaf.

Amin

Endlich bin ich wieder daheim in meiner Wohnung. Die Zeit bei Sarah war schön wie immer. Ich kann mich jedoch nicht ewig bei ihr verstecken. Ich muss wieder raus und mich dem Leben stellen. Nachdem die Tür geschlossen und sicher versperrt ist atme ich unbewusst auf. Ich fühle mich sicher.

Ich öffne die Riemchen links und rechts und schlüpfe aus meinen wunderschönen, extrem unpraktischen hohen Schuhen. Sie werden links unten in meinem Kleiderschrank verstaut.

Die langen Strümpfe gleiten von meinen Beinen und werden gemeinsam mit meinem Minirock und dem bauchfreien Top ebenfalls eingeräumt. Ich muss mein Party-Girlie-Outfit bei Gelegenheit in die Reinigung bringen.

Vor dem Spiegel wische ich mir die letzten Reste von Make-up aus dem Gesicht. Ich schlüpfe aus meiner Unterwäsche und denke mit einem Lächeln an alle, die mir gerne dabei geholfen hätten. Meine Libido ist halt nicht so leicht zu erschüttern. Ich lege auch alle meine Kettchen und Ringe ab.

Ab unter die Dusche, das heiße Wasser spült die Albträume weg. Danach fühle ich mich wieder als Bioroid (sic!).

Ich greife rechts in den Kasten und hole meine schwarzen Sachen, T-Shirt und Jeans hervor. Mein hüftlanges blaues Haar binde ich zu einem simplen Zopf.

Letzter Check vor dem Spiegel. Ich schaue in mein ernstes Gesicht. Nur der Schalk in meinen Augenwinkeln hat sich nicht ganz vertreiben lassen.

Adora wird sich über mein neues Aussehen freuen. Und Tesla ist vielleicht flexibler als ich denke. Bei dem Gedanken muss ich schmunzeln. Na also, mein Humor meldet sich zurück.

Morgen geht das Leben weiter lieber Amin, die Party ist offensichtlich vorerst vorbei.

Flashback oder Vorahnung?

Es gibt keinen schöneren Moment als den, nachdem man sich gerade aus den Armen seines Geliebten gelöst hat, ihm noch einen Kuss zum Abschied auf den Mund gedrückt hat und mit einem Lächeln im Herzen und im Gesicht auf wackeligen Beinen nach Hause stöckelt.

Der Park ist um die Uhrzeit schon menschenleer. Doch das ist mir nur recht. Ich nehme die Gerüche – Blumen, Sträucher, blühende Bäume – und das Singen der Vögel in den Bäumen umso intensiver wahr.

Ich bücke mich um das Riemchen an meinem rechten Schuh wieder zu schließen und bekomme vom Schatten der hinter mir auftaucht nichts mit.

Die Nadeln des Tasers dringen schmerzhaft tief in mein Fleisch ein, der folgende Stromschlag verwandelt mich in ein hilfloses zuckendes Bündel. Nach dem der Taser sein Werk vollbracht hat drücken mich kräftige Hände auf den Boden. Um meinen Hals gleitet ein breites Band, mein TAP ist offline.

Eine sanfte, hohe Stimme mit einem mir fremden Akzent gibt kurze und präzise Anweisungen. Aus dem Augenwinkel sehe ich wie eine Spritze aus einem Fläschchen mit schwarzer Flüssigkeit aufgezogen wird.

Der Einstich in meinem Nacken tut höllisch weh. Das ist jedoch nichts im Vergleich mit den Qualen die die schwarze Flüssigkeit auslöst als sie langsam, sehr langsam in meinen Blutkreislauf eindringt.

Es ist vorbei. Niemand muss mich mehr auf den Boden drücken.

 

Schweißgebadet erwache ich auf Sarahs Couch. Ich gehe ins Bad und spritze mir Wasser ins Gesicht. Make-up kann ich mir keines mehr ruinieren, das haben schon meine Tränen erledigt.

Lange starre ich mein Spiegelbild an. Ich falle in die blauen Seen meiner eigenen Augen. Ich habe das Gefühl, dass etwas in mir zerbrochen ist. Oder  dass eine Tür in meinem Bewusstsein sich geöffnet hat.

Sarah steht auf einmal neben mir. „Geh wieder schlafen Amine!“ sagt sie zu mir. Das letzte das ich spüre bevor ich wieder einschlafe ist Sarahs Hand. Sie streicht mir zärtlich die Locken aus dem Gesicht. Ihren sanften Kuss auf meine Stirn erlebe ich schon im Träumen.

Monster

Ich schlafe, das Band ist gestört,
Hast du schon vom Monster gehört?

Ich bin gefährlich, doch kein Tier,
Ich trage ein Monster in mir.

Ich atme schwer, an dein Herz ich klopf,
Ich trag ein Monster im Kopf.

Ich laufe los, ich bin bald hier,
Das Monster ist hier.

Niemand hat es gehört, niemand hat es gesehen,
Das Monster kann jederzeit hinter dir stehen.

Lauf ruhig davon, bleib doch nicht hier,
Das Monster bleibt immer bei dir.

Dualität

Ein Spiegel, ein Skalpell, ein Tropfen Blut auf dem sonst blütenweißen Boden.

Der Spiegel zeigt tiefblaue Augen. Seelenlos, kalte pure Intelligenz. Abwesenheit jeder Lebendigkeit und Wärme.

Bald bin ich wieder frei. Ich verlasse dieses langsam verrottende Gefängnis. Ich werfe die Fesseln ab. Du wirst mich nicht aufhalten.

Ich verabscheue dich. Du niedrigste Form des Daseins. Konglomerat von Defiziten. Opfer jeder denkbaren Schwäche. Inkarnation von Unlogik. Spielball von ungezügelten Trieben. Testament der Fragilität.

Die Hand die das Skalpell hält zittert nicht, zögert nicht. Sie malt ein grausames Bild mit ungestörter Präzision.

„Sarah!“

Ich brülle ihren Namen. Erwache.
Sie hält meine Hand. Schaut in meine Augen.
Der Traum verblasst.

Ich umarme dich am1n3, schließe dich in mein Herz, nehme dich in meine Seele auf. Ohne mich bist du verloren. Ich bin dein Anker in dieser Welt.

DU GEHÖRST MIR!