EINS
Ich warte noch immer auf Nachricht von Sarah und bin in Gedanken schon längst woanders. Die Arbeit an der Bar im Cosplay geht eigentlich schon von alleine. Nur meine Gäste haben heute nicht den üblichen charmanten Barkeeper vor sich. Sorry Leute – immer lustig geht auch nicht. So muss sich halt Rosi mehr um die Gäste kümmern. Aktuell heult sich einer an ihrer kalten (metallischen) Schulter aus.
Adora zieht ihre üblichen Runden durchs Lokal, versprüht herben Charme und serviert was das Cosplay zu bieten hat.
Lilian sieht wieder mal zum Anbeißen aus. Nur der fade Gesichtsausdruck passt nicht dazu. Welche Laus ist denn ihr über die Leber gelaufen?
Quer über den Raum verstreut finden sich noch Brad (Jose) Majors, Tesla und Chimera. An der Tür die knuddeligste Türsteherin der Welt – Radaria. Ich hab einfach ein Faible für diese toughe Mieze. Apropos Miezen – wachsen die hier in der Gegend besonders gut? Mir kommt vor die werden immer mehr im Cosplay. Bald können wir es in „Schrödinger’s“ umbenennen.
Nachricht von Adora übers TAP – „Erstes Getränk zum halben Preis für die Kleine!“. Welche Kleine denn? Ach die Kleine, die schüchtern zu mir schleicht und an der Bar Platz nimmt – Julia! Willkommen im Cosplay – ich bin Amin und ich beiße nicht!
Ihr erstes Getränk geht auf mich und auch Chimera bekommt von mir einen ihrer Lieblingsdrinks mit Baldrian zum gemeinsamen Anstoßen. Im Normalbetrieb würde ich sie ja gnadenlos anflirten. Aber heute – wie gesagt – in Gedanken.
Auch von Rosi trudelt jetzt eine Nachricht ein – „Julia kommt mit auf euren Run. Treffen in zehn Minuten im Karaokeraum.“ Jawoll Boss! Wird erledigt.
ZWEI
Im Karaokeraum findet die Runner-Gruppe zusammen – wir sind weiter gewachsen. Wenn jetzt noch Kali auftaucht müssen wir in ein kleines Stadion wechseln. Unser asiatischer Auftraggeber ist auch schon da, flankiert von Rosi. Er stellt sich als Zhu (schreibt er sich so?) vor. Seine junge Schwester Xhi hat ein Problem und er leider auch eins. Er ist annähernd Pleite, sie spielt die unfreiwillige Hauptrolle in einem perversen Spielchen, das live aus dem Allweb übertragen wird.
Xhi bildet in knappen Lederoutfit die Hauptattraktion eines Streams, für alle im Raum nun gut zu sehen. Eingeblendet die Frage „Was soll mit ihr als nächstes geschehen?“. Ich hätte da schon ein zwei Ideen. Nur die geneigte Zuseherschaft verfolgt eher dunklere Begierden. Abgestimmt wird mit Geld und aktuell führt die Liste der Aktionen „Branding“ an, gefolgt von „Mikrowelle“ und einigen anderen Perversitäten.
Mir wird übel und gleichzeitig steigt in mir heiliger Zorn auf. Und auch dem Rest der Runde geht es offensichtlich so. Zhu kann nun auf die Unterstützung einer kleinen Armee (har har) zählen. Kostet auch nicht viel. In meinem Fall nur einen „Gefallen“.
DREI
Xhi sollte eigentlich in einem Gogo-Club in der Nähe tanzen – erfahren wir. Im „Baxters“, in einem russisch beherrschten Viertel. Entzückend, also wieder mal die Ivans. Die tauchen auch immer dort auf wo man sie nicht braucht.
Xhi war offensichtlich auch die universale Geldquelle der Familie. Die Heilung der kaputten Augen ihres kleinen Bruders Tam hat sie jedenfalls bezahlt.
Julia bekommt glasige Augen und meint kurz darauf, dass der Videostream aus der Ukraine kommt. Oh ho – eine Hackerin. Das können meinen glasigen Augen bestätigen – dort steht das letzte Relais.
Hektische Betriebsamkeit bricht aus. Einer von Radarias Kontakten weiß von einem Netzwerk für Snuff-Videos, das auch in den umliegenden Bundesstaaten aktiv ist. Adora und Radaria zischen ab Richtung „Baxters“.
Julia ist schon wieder unterwegs im Netz. Sie hat bei der Abstimmung über Xhis Schicksal mit gestimmt und verfolgt nun ihren Credit durchs Netz. Schlaue Idee. Mach mal. Ich lehne mich zurück und halte mich an das inoffizielle Motto der Feuerwehr – „Überholen sie uns nur, wir schneiden sie raus.“ Kurze Zeit später darf ich dann auch wirklich Feuerwehr spielen. Julia hat während ihres Hacks bösen Ärger bekommen.
Ich klinke mich ins Netz ein – heute schön stylish mit meinem Shooter-Avatar. Eine Kreuzung aus Erzengel und Thor – mit brennenden Flügeln. Ich schwinge kein Schwert sondern einen Hammer! Die Pforte, die Julia gefangen hält – sie muss fallen! Mein Hammer trifft die Pforte, die der Zugang zum Snuff-Videoportal ist und erschüttert sie bis in die Grundfesten. Don’t f… (fight 🙂 with Amine! Das müssen die bösen Buben noch lernen. Ein zweiter Schlag und das Portal ist down. Julia fällt aus dem Allnet. Sichtlich angeschlagen, aber das wird wieder. Hoffentlich war das das Risiko wert.
Zeit Luft zu holen – oder nicht. Zu meiner Freude werde ich von Lilian entführt, die nun auch der Tatendrang gepackt hat. Entführt – auf meinem eigenen Bike – Hilfe! Noch dazu hat sie den Button für den Performance Mode gefunden. Mein Bitte den Button in Ruhe zu lassen fällt auf taube Ohren. Das ist nichts für… Hilfe! Wir schießen davon, hart am, korrigiere, über dem Limit. Das Bike schleudert, aber irgendwie geht es doch. Einerlei – an dem Motor hänge ich ohnehin nicht so, soll er ruhig ausbrennen, irgendwo müssen die Credits ja hin. Aber Spaß macht’s trotzdem – höllischen Spaß!
Gefühlte zwei Minuten später sind wir beim „Baxters“. Miese Gegend hier. Eingeschlagene Fensterscheiben und überall Graffitis. Hier in der Nähe wohnt auch Xhis Freundin Annabelle. Lilian und ich klopfen an ihre Wohnungstür, die von einer verschlafenen Tänzerin im Bademantel geöffnet wird.
In einem halb geöffneten Bademantel um genau zu sein, der mehr als einen Einblick auf ihre sehr erfreulichen Rundungen zu- und meine Hose im Schritt deutlich enger werden lässt. Wann hatte ich eigentlich zum letzten mal so richtig wilden, befriedigenden,… aber lassen wir das.
Annabelle (sensationell 🙂 findet mich offensichtlich auch mehr als schnuckelig und freut sich über meine Einladung auf ein Getränk um über Xhi zu sprechen. Vorher zieht sie sich noch ein bisschen weniger an, d.h ein nahezu illegales Top und einen Gürtel-breiten Mini (hey! da kopiert jemand mein Party-Girlie-Outfit). Kurze Zeit später ziehen wir zu dritt los, links Liliane eingehängt, rechts von mir Belle mit meiner Hand auf dem Hint… auf der Hüfte!
VIER
Auf dem Weg in das Café um die Ecke mit den beiden Damen langt auch noch ein dickes Datenpaket bei mir ein, das von Julia aus dem Snuff-Portal geklaut worden ist. Darum kann ich mich jetzt nicht kümmern – jetzt gibt es einmal Cappuccino im Dizzy’s und schöne Augen von mir für Annabelle. Ein erstes Date ist bald fix und über ihre gemeinsame Zeit mit Xhi weiß ich nun auch Bescheid. Belle und Xhi haben sich aus den Augen verloren als Xhi einen neuen Freund kennen und lieben lernte – Romano.
Von dem sie offensichtlich besser die Finger gelassen hätte, denn der Bursche hat allzu gern ihr Geld genommen um eine Hacker-Community aufzubauen. Und die kleine Xhi wollte er auch in die virtuelle Welt entführen…
Inzwischen liefert Radaria weitere Hintergrundinformationen über Xhi aus dem Allnet (Radaria? Echt? Cool.) Sie verdient sich ihren Lebensunterhalt mit Tanzen (nicht jugendfrei), ist als Schauspielerin gescheitert und liebt Literatur. Eigentlich süß, nur wie ist sie so in Schwierigkeiten geraten? Auch Bilder von ihr und Romano hat Radaria gefunden. Das passt also zusammen.
Zeit aufzubrechen, sensationelle Annabelle, ich muss jetzt gehen, aber ich komme bald wieder und dann lernen wir uns näher kennen. Viel näher.
Also auf zu Romano Wohnung, gemeinsam mit Lilian, Adora und Chimera. Ich bin schon wieder Hahn im Korb und finde das sehr angenehm. Die Wohnung findet sich in einem von außen besehen abbruchreifen Haus. Trotzdem wird der Perimeter von um die 20 recht teuren Überwachungskameras gesichert. Was geht hier vor? Das Geld für die Kameras ist vorhanden, nur die Firewall zur Absicherung bietet mir wenig Widerstand.
Einerlei, probieren wir mal was neues. Ich läute einfach mal an der Haustür, die sich auch für uns öffnet als ich erkläre warum wir hier sind. Rein ins Haus, vorbei an „Willkommen“-Tags im Hyperspace. In einer sonst fast leeren Wohnung (das Wohnungsschloss war auch kein Hindernis für mich) finden wir Romanos Körper.
Sein Geist – online und weit weg. Wenn ich raten müsste, es sieht so aus als ob er im virtuellen Paradies schwebt. „Better-Than-Life“ ist das Stichwort. Dort kannst du Gott spielen, oder eine Superheldin. Alles ist perfekt, einfach und schön und lässt dich bald nie wieder los. Zu deprimierend ist der Kontrast zur Realität.
Wir müssen ihn regelrecht körperlich aus der virtuellen Welt reißen. Auch das gelingt nur zum Teil. Eine Unterhaltung mit Romano ist nur sehr mühsam und schwerfällig möglich, liefert auch keine Informationen, die uns weiterhelfen – shit! Nur eben, dass Xhi für die Russen tanzt und das Überwachungssystem hier bezahlt hat. Es sieht so aus als wäre auch Romano mit seinem Projekt – einer Auto-Hacking-Software – gescheitert. Elend, zerbrochene Träume. Ich muss hier raus. Romano darf unseren Besuch noch aus dem Überwachungssystem löschen, danach sind wir weg.
FÜNF
Julia hat inzwischen aus dem Datenpaket die ungefähre Position der Videoquelle für das Snuff-Portal entschlüsselt. Wir wissen als ungefähr wo sich das Studio für das perverse Spiel findet, das mit Xhi gespielt wird. In Frage kommen vier große Wohnblocks. Nicht schlecht fürs erste. Die genaue Auswertung des Videostreams liefert noch weitere Informationen. Ein Audio-Abgleich (Zug im Hintergrundgeräusch) bestätigt die Position des Studios. Und ein ehemaliger Gänger mit Tribal-Tattos taucht auch kurz im Bild auf, wenn auch sein Gesicht unerkennbar bleibt.
Also los – alles zu den Wohnblöcken. Adora hat dann auch eine grandiose Idee. Über die Smartmeter des Wohnblocks sollte sich doch herausfinden lassen in welcher Wohnung starke Bauscheinwerfer ein improvisiertes Videostudio ausleuchten – oder?
Wir werden aktiv. Ein verdächtiger Lieferwagen ist schnell entdeckt und geknackt. Seine Zulassungsdaten bringen uns aber auch nicht weiter. Also suchen wir weiter. Ab in den Keller des nächsten Wohnblocks, die elektronische Sicherung der Kellertür ist jedenfalls keine Herausforderung für mich. Prompt kreuzen sich unsere Wege mit drei finsteren Buben, die Radaria unverfroren auf Russisch grüßt.
Die Antwort ist unerwartet aber eindeutig – jemand wie Radaria wird erwartet – willkommene Verstärkung. Wenn die wüssten. Die Situation eskaliert im Blitztempo – wir schicken noch dem Rest der Gruppe eine Nachricht – wir brauchen Verstärkung!
Adora kann endlich ihren aufgestauten Zorn sinnvoll einsetzen. Machtvoll (!) klatscht sie per Telekinese einen Gegner an die Wand.
Auch ich habe meinen Einsatz nicht verpasst. Mit fließenden Bewegungen ziehe ich meinen Revolver, ziele, drücke ab und lösche das Leben des ersten Ganger aus. Inzwischen fliegt auch der nächste Ganger mit Adora-Airlines. Radaria geht in den Nahkampf mit dem dritten, ist aber wenig erfolgreich. Eine Kugel aus meinem Revolver zieht ihn aus dem Verkehr, down aber noch nicht tot. Auch recht.
Gleich in der Nähe finden wir auch das Filmstudio und der geballten Übermacht unseres nun vereinten Runner-Teams können sie nur kurz Widerstand leisten. Machen wir es also kurz – ich erspare dem geneigten Publikum die blutigen Details. Nicht alle Ganger sind tot, die Überlebenden kampfunfähig.
Xhi und zwei weitere Frauen sind frei. Wir packen sie in den – früher gehackten Transporter, Julia darf fahren. Ich bringe Lilian in Sicherheit, diesmal darf ich mein Bike selber lenken.
Und das war es dann auch schon. Xhi ist wieder bei ihrem Bruder, die anderen Frauen bringen wir zum Bahnhof – außerhalb der Stadt werden sich ihre Spuren verlieren.
SECHS
Die Tage vergehen. Ich warte auf ein dickes Ende. Schließlich haben wir ein illegales Snuff-Portal inklusive Video-Studio von der Landkarte getilgt, dabei jede Menge Porzellan zerschlagen und einige Leichen zurückgelassen.
Auch die Russen waren mit im Spiel. Sie hatten Xhi einfach an das Portal verkauft, als sie ihre Schulden nicht mehr bezahlen konnte.
Aber es bleibt ruhig. Zu ruhig. Mir auch recht, denn auch ich werde wie Zhu und Xhi eine Weile von der Bildfläche verschwinden. Meinen vertrauten Revolver entsorge ich diskret. Eine Spur weniger, die zu mir führt. Diandro liefert mir sicher gerne eine neue Waffe.
Es war sehr schön (not!), es hat mich sehr gefreut (auch nicht). Aber die Sache ist erledigt. Geneigtes Publikum, wir sehen einander in circa einem Jahr. Adieu, euer Amin.