Finsternis

EINS

Ich kenne das Gefühl, diese mir wohl bekannte Schwärze, die meine Seele wie Krebs befallen hat. Diese unerträgliche Mischung aus Angst und Traurigkeit.

Angst – die Angst alles zu verlieren, das mir im Leben etwas bedeutet. Jeden einzelnen geliebten Menschen aus dem Leben gerissen zu bekommen. Die Unfähigkeit auch nur das kleinste bisschen Sonnenschein festhalten zu können.

Traurigkeit – die Traurigkeit die mir den Blick aufs Leben verdunkelt, die das Strahlen meiner Augen erlöschen lässt. Die mir jeden Funken Energie aus dem Leib zieht. Die mich niederzwingt und mich lähmt.

Dazu dieses Empfinden der Taubheit, der Distanz zur Welt um mich.

Ich sitze auf der Couch. Den Kopf stütze ich mit beiden Händen. Die Arme auf dem Knien abgestützt. Der letzte Schritt vor dem Zusammenbruch. Physisch und psychisch.

Meine langen Haare hängen vor meinem Gesicht. Sie wirken ungepflegt und verfilzt. Aus meinen Augen fallen langsam aber stetig einzelne Tränen auf den Boden. Lautlos. Ich habe keine Kraft mehr für Laute der Trauer.

ZWEI

Das unscheinbare Holzkistchen ist noch immer am selben Platz versteckt. Langsam und mit zitternden Fingern klappe ich den Deckel auf. Ich nehme jeden einzelnen kleinen Klarsichtbeutel heraus und lege ihn auf Boden vor mir.

Was für eine Sammlung! Grüne, getrocknete Pflanzenknospen. Pulver, so weiß wie der Schnee. Kristallstaub in dem sich das spärliche Licht glitzernd reflektiert. Nüchterne Tabletten mit umso fröhlicheren aufgeprägten Piktogrammen. Eine zuckerartige Substanz – so rot wie Schneewittchens Lippen.

Und dann ist da noch etwas. Ein silbernes Etui. Das wunderschöne Äußere bildet einen fast schmerzhaften Kontrast zum Inhalt. Auf schwarzen Samt gebettet liegt eine einzelne Spritze. In ihrem Körper hält sie eine schwarze Flüssigkeit. Sie verspricht Erlösung aus diesem Tal der Dunkelheit. Erlösung von Trauer und Schmerz.

Wie ferngesteuert greife ich nach der Spritze, entferne die Schutzkappe über der Nadel. Halte sie vor meine Augen. Der flackernde Ausdruck von Emotion in meinen Augen könnte beinahe Liebe sein. Lass uns gemeinsam fortgehen – flüstere ich ihr zu. Fort für immer. Die Nadel ruht in meiner Armbeuge. Fast glaube ich das Pochen des Blutes in meinen Adern zu fühlen als die Spitze der Nadel meine Haut durchstößt.

DREI

Was hat Sarah mir zum Abschied zugeflüstert? „Ich lass dich los Schmetterling.“

Ihr Gesicht taucht vor meinem geistigen Auge auf. Mühsam löse ich mich aus der Dunkelheit der Erinnerung, die mich ungebeten überfallen hat. Ich drücke die Tür in meinem Unterbewusstsein zu.

Die Rückkehr in die Realität dauert lange. Ich zittere noch immer, schweißnass vor Angst. Und genauso ungebeten fällt mir ein Zitat von Friedrich Nietzsche ein.

„Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“

Danach falle ich in einen tiefen, traumlosen, erlösenden Schlaf.

Der Pakt

PROLOG

Mit einem entspannten Seufzen lehne ich mich auf meinem Sofa zurück. Die Beine kann ich nach langer Zeit auch wieder einmal hochlegen. Neben mir steht ein Glas mit einem meiner Lieblings-Cocktails.

Es ist gelaufen. Wir sind davon gekommen. Über die Konsequenzen aus meinem Pakt mit dem Raucher mag ich jetzt noch nicht nachdenken. Aber ich erzähle die Geschichte am besten von Anfang an.

EINS

Nach der Schießerei bei der die drei Ganger ums Leben kamen hatten wir uns ja in alle Winde zerstreut. Doch nur für kurze Zeit. Wir waren übereingekommen, dass wir uns möglichst früh wieder bei Rosie im Cosplay-Café treffen.

Ich stehe pünktlich um 6 Uhr bei Adora vor der Wohnungstür. In jeder Hand einen Mega-Monster-Extra-Kaffee von Starbucks. Anders ist meine liebste Jedi um diese Zeit zu keiner Reaktion zu bewegen. Andererseits mag ich es wenn sie mich verschlafen anblinzelt. Und wenn sie unter weniger als gefühlt 10 Lagen von Kleidung verborgen ist.

Nach einem Guten-Morgen-Bussi tauche ich in Adoras Kleiderschrank um ein Outfit für sie zu finden, das ihre körperlichen Reize zumindest ein wenig erahnen lässt. Leider vergeblich. Auch mein Shopping-Angebot schlägt sie aus. Gut – wir haben zur Zeit andere Sorgen. Auch eine gemeinsame Dusche ist heute nicht ihr Fall. Keck – ich weiß – aber wer nicht wagt der nicht gewinnt.

Damit wir schneller zu Rosie kommen organisiere ich noch einen Leihwagen – diesmal eine stattliche Limousine. Die Lagebesprechung bei Rosie ist schnell zu Ende. Uns bleiben im Endeffekt nur zwei Optionen – unsere Spuren verwischen oder die Stadt verlassen. Ersteres halte ich für kaum möglich, letzteres ist auch keine gute Möglichkeit. Ich bin ein Kind der Stadt. Auf dem Land vertrockne ich wie ein Blume in der Wüste.

ZWEI

Wir haben zur Zeit zwei Gruppen die uns ans Leder wollen. Die Polizei, die jede Menge Spuren von uns am Tatort gefunden hat und die Crazy Devils, die uns sogar persönlich kennen. Die überlebenden Ganger dürften sich unsere Gesichter genau eingeprägt haben. Druck von zwei Seiten – zumindest auf die Devils können wir Gegendruck ausüben.

Wir besteigen mein Leihauto und fahren ins Industriegebiet im Einzugsbereich des russischen Mobs. Brad Majors hat einen kühnen Plan entwickelt und braucht dafür Unterstützung. In der Nähe eines Verladebahnhofs knacke ich einen alten Mitsubishi-Kastenwagen. Während ich fröhlich in den elektronischen Eingeweiden des Laster wühle kommt mir unterschwellig der Gedanke, dass das nicht so weise sein könnte. Ich komm aber nicht drauf warum. Ist ja auch egal…

Anyway – mit einem breiten Grinser und voll professionellem Stolz lasse ich Brad Majors ans Steuer des LKW. Chimera nimmt auf dem Beifahrersitz platz. Der Rest der Truppe landet wieder bei mir in der Limousine. Der Plan von Brad ist ganz einfach. Er brettert mit dem LKW auf den Hof des Hauptquartier der Devils und richtet dort so viel Zerstörung wie möglich an. Wofür das ganze gut sein soll ist mir zwar nicht klar, aber besser als nichts tun.

Brad setzt seinen Plan gekonnt in die Realität um. Unter den Reifen des LKWs werden fünf Motorräder zermalmt. Der von Chimera (alle Achtung!) geworfene Molotov-Cocktail richtet zusätzlichen Schaden an. Das alles können wir Live und Farbe beobachten. Brads Drohne, die in der Nähe geparkt ist liefert erstklassige Bilder. Brad und Chimera entkommen mit dem angeschlagenen LKW und entsorgen ihn in der Nähe vor einem ehemaligen Uni-Gebäude, das jetzt von Anarchos (ha!) besetzt ist. Danach gehen die beiden Shoppen. Ich bin stolz – das haben sich die beiden sicher von mir abgeschaut!

Ergebnis der Aktion – wir haben die Devils kräftig aufgescheucht. Sieben ihrer Motorräder sind Schrott. Zehn der insgesamt achtzehn Devils sind auf der Suche nach den Attentätern. Doch wie sollen sie uns finden? Auch Mad Matt, ihr Anführer, ist mit seinem Hummer unterwegs.

DREI

Wir sind inzwischen wieder im Café und beraten wie es weitergehen soll. Adora und Chimera fahren zum Hauptquartier der Arapahos um weitere Informationen zu sammeln. Sie haben zwar anfangs Schwierigkeiten zu den Anführern und speziell Cyanus vorzudringen. Aber habt ihr schon mal versucht eine Jedi aufzuhalten wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat? Eben!

Chimera verblüfft mit radikal offener Kommunikation und redet sich beinahe um Kopf und Kragen. Doch bevor die Arapahos mitbekommen, dass wir die Devils auf dem Gewissen haben lenkt Adora schnell das Gespräch in eine andere Richtung. Die Macht ist stark in dir Mylady!

So erfahren wir, dass die Arapahos ziemlichen Ärger haben. Jemand (wer wohl?) hat zweimal die Devils angegriffen. Sie vermuten, dass die Latino Gang aus der Gegend von Rosies Café dahinter stecken.

Ein Bandenkrieg steht also kurz bevor. Adora versucht später noch zu vermitteln, ihr Gesprächsversuch mit den Latinos scheitert aber. Und mir rät Diandro in einen Telefonat mich aus der Angelegenheit soweit als möglich heraus zu halten.

Wir versuchen dennoch das schlimmste zu verhindern, als ein großer Pulk von Motorrädern, besetzt mit Devils und Arapahos, ausfährt um die Latinos zu attackieren. Wir folgen ihnen in zwei Gruppen mit einigem Abstand. Der Pulk zieht ins Gebiet der Latinos und schießt dort wild um sich. Eine kleinere Gruppe löst sich aus dem Pulk und fährt in die Straße wo unsere erste Schießerei mit ihnen statt gefunden hatte. Ihr Plan ist es offensichtlich die Lokale dort abzufackeln.

Doch sie haben die Rechnung ohne Brad Majors gemacht, der inzwischen auch dort angekommen ist. Mutig stellt er sich drei Devils entgegen. Mutig ja – schlau – eher nein. Die Devils fackeln nicht lange und bewerfen ihn mit Molotov-Cocktails und blauen Bohnen.

Brad wir angeschossen kann sich jedoch noch in Sicherheit bringen. Inzwischen treffen auch Tesla und ich ein und bringen Brad mit der Limousine aus der Gefahrenzone. Brads mutiger Einsatz konnte zwar nicht verhindern, dass das italienische Lokal teilweise abgebrannt ist. Die Devils haben sich aber zumindest kurz vertreiben lassen. Chimera und Adora versuchen zwar noch sie zu stellen – jedoch vergeblich.

Kurze Zeit später treffen wir alle in Chimeras Wohnung ein. Das ist einer der wenigen für uns noch sicheren Orte. Nachdem Adora ihren Sanitäter-Freund nicht erreichen kann muss Chimera Brad verarzten. Vorher holt Tesla noch per Telekinese die Kugel aus Brads Körper. Damit kommt dieser ereignisreiche Tag auch zu einem Ende.

VIER

Ich übernachte bei Adora. Am nächsten Tag treffen wir einander wieder im Cosplay-Café. Wir rätseln über die Beweggründe der Russenmafia, die hinter den Devils steht und sie finanzieren.

Um Klarheit über die Russen zu erhalten schlägt Rosie ein Treffen mit Raffaela – einem Kontakt von ihr – vor. Ich organisiere einen Termin für ein Gespräch. Vorher veröffentlichen wir noch anonym Videos, die Brad Majors angefertigt hat. Eines zeigt die Attacke auf das Hauptquartier der Devils, das andere die Brandstiftung der Devils bei der auch Brad attackiert wurde. Diese Videos werden kurze Zeit später eine durchschlagende Wirkung entfalten.

Ich treffe mich mit Raffaela und erfahre unter anderem ihre traurige Vorgeschichte. Sie war eine erfolgreiche Runnerin und gefürchtete Kämpferin. Bis sie eines Tages den Russen in die Quere kam. Die haben sie wortwörtlich gevierteilt und zum Ausbluten auf der Straße liegen gelassen. Nur dank ihrer Cyberware konnte sie knapp überleben. Sie verlor jedoch beide Arme und beide Beine. Und das notwendige Kleingeld für Ersatzgliedmaßen fehlt ihr. Das hindert sie jedoch nicht daran das Leben mit Iska – einer Straßendoktorin – zu teilen und als Hackerin eine neue Karriere zu starten. Ich werde wohl einige Zeit mit ihr verbringen – sie fasziniert mich.

Was ich auch von ihr erfahre ist, dass ich wahrscheinlich einen russischen LKW gehackt habe, mit dem Schmuggelgut transportiert wird. Dank weiterer Informationen von Raffaela haben wir nun folgende Theorie: die russische Mafia hat die Devils angeheuert um in der Gegend der Arapahos möglichst viel Unsicherheit und Ärger zu verursachen.

Damit fallen die Preise für Immobilien in dieser Gegend und die Russen können billig Eigentum erwerben. Danach beruhigt sich die Lage wieder – die Immobilien-Preise steigen wieder und die Russen machen satten Gewinn. Als Marionette für die Immobilienkäufe haben sie ein Immobilienbüro beauftragt.

Nach dem Treffen mit Raffaela geht es Schlag auf Schlag. Brads Videos haben offensichtlich so viel öffentlichen Druck erzeugt, dass die Polizei nach Anweisung des Governors hart durchgreift. Das Hauptquartier der Devils wird gestürmt, alle Devils festgenommen. Damit ist der Spuk mit einem Schlag vorbei. Fast. Denn die Polizei ist uns wegen der drei toten Ganger noch immer auf den Fersen. Und ich muss eine schwere Entscheidung treffen.

FÜNF

Der Raucher hat erstaunlich schnell Zeit sich mit mir zu treffen. Er sieht aus wie immer – nur die amüsiert funkelnden Augen machen mir Angst. Ich gestehe ihm, dass wir schuld am Tod der drei Ganger sind und bitte ihn die Beweise aus dem Polizeicomputer verschwinden zu lassen.

Als Gegenleistung dafür hat er mich in der Hand. Und was noch schlimmer ist – mehr oder weniger auch meine Freunde.

Vor allem vor Adoras Reaktion fürchte ich mich. Ich stelle sie vor eine schlimme Wahl. Entweder sie nimmt den Deal an und begibt sich damit ebenfalls in den Einflussbereich des Rauchers oder sie lässt mich die Konsequenzen allein tragen. Ich hoffe sie versteht, dass ich das nur getan habe um sie und die anderen zu schützen. Ich könnte es nicht ertragen sie hinter Gittern zu sehen. Und eine Trennung von ihr wenn sie Stadt verlassen muss würde mir genauso nahe gehen.

Der Raucher wartet jedenfalls auf meine Rückmeldung. Aber das muss nicht jetzt geschehen. Das hat noch Zeit. Zeit meine Beine hochzulegen und meinen Lieblingscocktail zu trinken. Zeit zum Nachdenken. Die Konsequenzen meines Handelns können mich auch noch morgen einholen.

Amin

Endlich bin ich wieder daheim in meiner Wohnung. Die Zeit bei Sarah war schön wie immer. Ich kann mich jedoch nicht ewig bei ihr verstecken. Ich muss wieder raus und mich dem Leben stellen. Nachdem die Tür geschlossen und sicher versperrt ist atme ich unbewusst auf. Ich fühle mich sicher.

Ich öffne die Riemchen links und rechts und schlüpfe aus meinen wunderschönen, extrem unpraktischen hohen Schuhen. Sie werden links unten in meinem Kleiderschrank verstaut.

Die langen Strümpfe gleiten von meinen Beinen und werden gemeinsam mit meinem Minirock und dem bauchfreien Top ebenfalls eingeräumt. Ich muss mein Party-Girlie-Outfit bei Gelegenheit in die Reinigung bringen.

Vor dem Spiegel wische ich mir die letzten Reste von Make-up aus dem Gesicht. Ich schlüpfe aus meiner Unterwäsche und denke mit einem Lächeln an alle, die mir gerne dabei geholfen hätten. Meine Libido ist halt nicht so leicht zu erschüttern. Ich lege auch alle meine Kettchen und Ringe ab.

Ab unter die Dusche, das heiße Wasser spült die Albträume weg. Danach fühle ich mich wieder als Bioroid (sic!).

Ich greife rechts in den Kasten und hole meine schwarzen Sachen, T-Shirt und Jeans hervor. Mein hüftlanges blaues Haar binde ich zu einem simplen Zopf.

Letzter Check vor dem Spiegel. Ich schaue in mein ernstes Gesicht. Nur der Schalk in meinen Augenwinkeln hat sich nicht ganz vertreiben lassen.

Adora wird sich über mein neues Aussehen freuen. Und Tesla ist vielleicht flexibler als ich denke. Bei dem Gedanken muss ich schmunzeln. Na also, mein Humor meldet sich zurück.

Morgen geht das Leben weiter lieber Amin, die Party ist offensichtlich vorerst vorbei.

Flashback oder Vorahnung?

Es gibt keinen schöneren Moment als den, nachdem man sich gerade aus den Armen seines Geliebten gelöst hat, ihm noch einen Kuss zum Abschied auf den Mund gedrückt hat und mit einem Lächeln im Herzen und im Gesicht auf wackeligen Beinen nach Hause stöckelt.

Der Park ist um die Uhrzeit schon menschenleer. Doch das ist mir nur recht. Ich nehme die Gerüche – Blumen, Sträucher, blühende Bäume – und das Singen der Vögel in den Bäumen umso intensiver wahr.

Ich bücke mich um das Riemchen an meinem rechten Schuh wieder zu schließen und bekomme vom Schatten der hinter mir auftaucht nichts mit.

Die Nadeln des Tasers dringen schmerzhaft tief in mein Fleisch ein, der folgende Stromschlag verwandelt mich in ein hilfloses zuckendes Bündel. Nach dem der Taser sein Werk vollbracht hat drücken mich kräftige Hände auf den Boden. Um meinen Hals gleitet ein breites Band, mein TAP ist offline.

Eine sanfte, hohe Stimme mit einem mir fremden Akzent gibt kurze und präzise Anweisungen. Aus dem Augenwinkel sehe ich wie eine Spritze aus einem Fläschchen mit schwarzer Flüssigkeit aufgezogen wird.

Der Einstich in meinem Nacken tut höllisch weh. Das ist jedoch nichts im Vergleich mit den Qualen die die schwarze Flüssigkeit auslöst als sie langsam, sehr langsam in meinen Blutkreislauf eindringt.

Es ist vorbei. Niemand muss mich mehr auf den Boden drücken.

 

Schweißgebadet erwache ich auf Sarahs Couch. Ich gehe ins Bad und spritze mir Wasser ins Gesicht. Make-up kann ich mir keines mehr ruinieren, das haben schon meine Tränen erledigt.

Lange starre ich mein Spiegelbild an. Ich falle in die blauen Seen meiner eigenen Augen. Ich habe das Gefühl, dass etwas in mir zerbrochen ist. Oder  dass eine Tür in meinem Bewusstsein sich geöffnet hat.

Sarah steht auf einmal neben mir. „Geh wieder schlafen Amine!“ sagt sie zu mir. Das letzte das ich spüre bevor ich wieder einschlafe ist Sarahs Hand. Sie streicht mir zärtlich die Locken aus dem Gesicht. Ihren sanften Kuss auf meine Stirn erlebe ich schon im Träumen.

Absturz

EINS

Ich liege in Sarahs Wohnung auf der Couch. Meinen Kopf mit den blauen Locken habe ich tief im Couchpolster vergraben. Immer wieder schütteln Weinkrämpfe meinen Körper. Wie konnte diese Katastrophe nur passieren?

Nicht einmal Diandro konnte mich vorher trösten. Und er ist verdammt gut wenn es darum geht mich aufzuheitern. Und ich fürchte auch er wird in den kommenden Tagen keine guten Neuigkeiten für mich haben.

Ich denke auch an die anderen Mitglieder meiner „Gang“ – Adora, Chimera, Tesla, Radaria und Brad (Brad Majors, ein talentierter Drohnenjockey, der mir schnell ans Herz gewachsen ist). Wie es ihnen wohl nun geht. Nach der Katastrophe haben wir uns in alle Winde zerstreut. Seither habe ich wenig von ihnen gehört.

ZWEI

Angefangen hat es ganz harmlos. Rosie hat uns einen Auftrag eines lokalen Geschäftsmanns vermittelt. Mr. Lee hat ein China-Restaurant hier in der Gegend. Sein Lokal wird seit ein paar Wochen von einer neuen Gang – den Crazy Devils – tyrannisiert obwohl er Schutzgeld an die eigentlichen Schirmherren der Gegend – die Gang Arapahos – zahlt. Die Arapahos haben offensichtlich kein Interesse die Mitglieder der neuen Gang zu stoppen, die Schaufensterscheiben einschlagen und Geschäfte zerstören. Sie dringen auch in Wohnungen ein, schlagen alles kurz und klein und die Bewohnerinnen krankenhausreif.

Wir haben uns vor Ort ein Bild gemacht, mit Mr. Lee und anderen lokalen Geschäftsleuten gesprochen. Auch die in der Gegend reichlich vorhandenen Überwachungskameras haben viele aufschlussreiche Bilder geliefert.

Offensichtlich sind die Crazy Devils eine Motorrad-Gang mit 15 bis 25 Leuten. Radaria, Chimera und Adora waren auch im Hauptquartier der Arapahos und haben dort mit Cyanus – Radarias Freund und Trainer – gesprochen.

Die schlimme von Cyanus vermittelte Wahrheit ist – die Arapahos bekommen Geld von den Crazy Devils und schauen deshalb weg. Wir vermuten (Tesla oder Brad – wer hatte noch schnell die Idee?) dass die Crazy Devils vom russischen Mob finanziert werden, der seinen Einflussbereich erweitern will.

Auch eine dubiose Immobilienfirma, die vermutlich ihr Portfolio auf Kosten der lokalen Bevölkerung vergrößern will, spielt vermutlich eine Rolle. Doch das liegt alles noch im Dunkeln. Fakt ist – eine Schule mitsamt großzügigem Außengelände soll den Besitzer wechseln.

Selbst mit den Crazy Devils hatten wir schon Kontakt. Drei schwarz gekleidete Männer auf Bikes haben mit uns gesprochen. Radaria hatte ausgiebig Gelegenheit sie anzufauchen. Viel mehr ist aber nicht passiert.

DREI

Wir haben die Idee das Hauptquartier der Crazy Devils zu suchen damit wir an weitere Information kommen. Das ist ganz einfach (was haben wir über ganz einfache Dinge gelernt?). Wir brauchen nur ein Motorrad der Gang, idealerweise ohne Fahrer. Der GPS-Speicher des Bikes wird uns verraten wo das gesuchte Haus ist.

Also verbringen wir die Nacht auf dem Dach einer Pizzeria gegenüber von Mr. Lees Lokal. Aus meiner Datensammlung weiß ich dass die Devils meist in der Nacht zuschlagen.

Und wie bestellt rollen sie zu sechst auf drei Motorrädern durch die Straße unter uns und werfen mit Steinen die Lokalscheiben kaputt. Wir haben uns auf die Lauer gelegt (Tesla und ich auf dem Dach), der Rest der Truppe direkt auf der Straße.

Es sollte ein leichtes sein die bösen Buben vom Motorrad zu schubsen und zu verjagen. Doch leider geht unser Plan katastrophal schief. Unsere subtileren Angriffe via Telekinese schlagen fehl. Adora greift nach ihrer Schusswaffe um ein Motorrad zu stoppen.

Doch womit um Himmels Willen hat sie ihre Waffe geladen? Das erste Motorrad wird von nur einer Kugel vernichtet. Fahrer und Beifahrer werden wie hilflose Puppen in der Gegend herum geschleudert.

Als Adora auf das zweite Motorrad schießt bricht die Hölle los. Ein gewaltiger Feuerball löscht alles Leben in einigen Metern Umkreis aus. Drei Mitglieder der Motorrad-Gang verbrennen hilflos im Inferno.

Auch die anderen Mitglieder der Gang werden von uns außer Gefecht gesetzt, ich muss auch einen Schuss abgeben um meine Freunde zu schützen.

Danach geht alles ganz schnell. Die Leichen und die gefesselten Ganger lassen wir zurück. Vor unserer Flucht schießen wir noch die Straßenbeleuchtung kaputt. Ich fliehe als Sozius auf dem letzten Gang-Bike hinter Brad Majors. Der Rest der Crew flieht auf Bikes und Hoverboards.

Brad und ich lassen das Bike in der Nähe der nächsten UBahn-Station zurück. Den GPS-Speicher kann ich noch schnell auslesen und somit das Hauptquartier der Crazy Devils lokalisieren.

VIER

Wir bleiben alle in Bewegung. Mindestens eine Stunde sind wir unterwegs um unsere vermuteten Verfolger abzuschütteln. Brads Drohne liefert Bilder vom Ort der Katastrophe. Die Polizei und die Rettung haben sich offensichtlich reichlich Zeit gelassen.

Ich heule mich erst bei Diandro aus und bitte ihn seine Fühler auszustrecken um möglichst viel über die Folgen unseres Angriffs in Erfahrung zu bringen.

Schließlich lande ich bei Sarah auf der Couch. Neben mir liegt mein Revolver. In einer Kammer steckt nur eine leere Hülse. Ich möchte nie wieder auf ein anderes Lebewesen schießen. Doch ich ahne, dass mir wohl keine Wahl bleiben wird.

Gemeinsam mit Sarah werde ich die nächsten Schritte planen. Doch zuerst muss ich wieder auf die Beine kommen.

Ich muss das verkraften. Wir haben drei Menschen ermordet. Ohne Not. Ohne angegriffen worden zu sein. Lange Zeit später versiegen die Tränen und ich falle in einen tiefen traumlosen Schlaf. Ich hoffe ich kann wenigstens zum Teil wieder gut machen was ich mit angerichtet habe…