Kampf

Eigentlich war es ein Einsatz wie er langweiliger nicht hätte sein können. Der Raucher hatte mich gebeten aus einem physisch schwer zugänglichen jedoch sonst eher mittelmäßig abgesicherten System heikle Daten zu besorgen.

Was heißt schon heikel heutzutage? In einer Welt der nichts Menschliches (hier muss ich schmunzeln, Menschen sind sowas von oldschool) fremd ist, liegt die Latte für Heikles und Schockierendes schon recht hoch. Im Endeffekt ging es um Beweise für Geldwäsche.

Zusammen mit ein paar anderen „Abenteurerinnen“ hatte ich es geschafft die Sicherheitsvorkehrungen eines eher unscheinbaren Bürohauses zu überwinden. Vor Ort hatte ich über das lokale Netzwerk direkten Zugriff auf das isolierte Rechnersystem. Es war fast zu einfach gewesen.

Fast…

Das System war doch besser geschützt als ich erwartet hatte. Das merkte ich jedoch erst als es viel zu spät war. Fünf zu eins in einem Cyberkampf ist eine recht ausweglose Situation…

Vergesst all die Beschreibungen aus Komödien wie „Matrix“, die Realität ist direkter, ehrlicher, brutaler und blutiger. Das einzige das zählt ist wie gut vorbereitet du bist und wie schnell und effektiv du die Opposition auf  körperlicher und geistiger Ebene zerfleischen kannst.

Zwei Gegnerinnen konnte ich erledigen, dann ging mir die Luft aus. Im konkreten und übertragenen Sinn. Ich verlor den Kampf.

Die Schmerzen wogten in Wellen durch meinen Körper. Schreie die nichts Menschliches (oldschool again) mehr an sich hatten lösten sich aus meiner Kehle.

Warum muss selbst in den letzten Momenten des Daseins alles so stereotypisch ablaufen? Hatte ich kein Recht auf einen individuellen Exitus?

Wie auch immer, ich spürte wie mein Geist meinen zerschlagenen Körper verließ und auf ein Licht zuschwebte. am1n3 war frei, das Band durchschnitten.

Nüchtern betrachtet war das der Wendepunkt im Kampf, für meine Gegnerinnen war es der Anfang eines doch recht grausamen Endes. Kurzversion: wenn dich eine entfesselte KI tot sehen will bist du tot. Nicht sofort, du stirbst langsam, individuell und auf völlig neuartige innovative Weise.

Ich habe lange Zeit später die Bilder der Leichen gesehen. Erschreckend, was von einem gegen sich selbst kämpfenden Wesen übrig bleibt.

Meine Begleiterinnen haben meinen fast leblosen Körper aus der Gefahrenzone gebracht. Sarah und eine befreundete Ärztin brauchten mehr als ein Monat um mich wieder auf die Beine zu bringen.

Die gesuchten Daten hatte sich am1n3 dann doch geholt. Das ist das einzige was für den Raucher zählt. Und ich hatte überlebt, das zählt für mich.

Anila

Ich habe noch ein paar Stunden Zeit, bevor ich heute meiner Schwester Ajita Rückendeckung gebe weil wir uns mit Hank unserem Schieber treffen. Ich kann diesen Typen nicht ausstehen, denn er ist so dumm wie ein Haufen unangeschlossener Datenkabel… Aber er nimmt uns immer einiges unserer Waren ab und so nehme ich ihn zur Kenntnis.

So beschließe ich noch eine Runde auf meiner Harley zu drehen und Rheos einen Besuch abzustatten. Er betreibt eine nicht so ganz offizielle Werkstatt und nimmt uns gewisse Teile ab die wir so zufällig finden.

Als ich bei ihm ankomme grinst er mich schon von der Weiten an.
„Na Anila, hast du wieder was für mich?“. „Heute nicht aber evtl. nächste Woche!“ und grinse ihn dabei während ich ihm zuzwinkere.

Wir plaudern noch kurz wie seine Geschäfte so laufen und ich mache mich auf den Weg zum Treffpunkt. Diese Gegend ist alles andere als einladend aber hier kann man super seine Geschäfte abwickeln.

Ich parke meine Harley in einer verlassenen Garage gleich um die Ecke von der Lagerhalle und warte bis ich das Zeichen von meiner Schwester bekomme.

Kurze Zeit später schleicht sie auch schon um die Ecke und gibt mir das Zeichen, daraufhin höre ich auch schon die Stimme von Hank. Er kann es nicht leiden, dass er uns nicht auseinander halten kann, aber wer kann das schon?

Bei diesem Gedanken muss ich lächeln! Nach einem kurzen Gespräch zwischen den beiden fang ich grinsen an, obwohl Hank mich gerade beleidigt hat, denn ich weiß, dass Ajita soeben den Preis erhöht hat. Er ist halt dumm und wird aus seinen Fehlern nie lernen.

Radaria

Manchmal möchte ich die Gedanken von den Gestalten lesen können die täglich bei mir vorbeigehen… Ich würde zu gern wissen was ihnen durch den Kopf geht wenn sie eine Tigerhybridin vor sich sehen, die aussieht als wäre sie in einer Gang. Wobei, da liegen sie gar nicht mal so falsch…

Ich freue mich schon wenn meine Schicht vorbei ist und ich mit Cyanus wieder um die Häuser ziehen kann. Cyanus ist nach all den Jahren wie ein Bruder für mich geworden, denn er war es der mich gefunden hat und mich zu den „Black Claws“ gebracht hat.

Sie sind nicht nur meine Freunde sondern auch meine Familie geworden. Cyanus hat mich auch den Kampfsport gelehrt und mir dabei geholfen eine perfekte Nahkämpferin zu werden, der keiner das Wasser reichen kann.

Durch mein Auftreten und mein Können war es natürlich nicht schwer für mich den Job als Türsteherin im Cosplay zu bekommen, denn ich bin einfach verdammt gut in meinem Job. Dadurch habe ich auch einiges über die Körpersprache und so manches andere über die verschiedenen Charaktere gelernt.

Heute ist es zur Abwechslung mal sehr ruhig obwohl sehr viel los ist, keiner ist auf Stress aus (fast ein wenig langweilig), aber so vergeht die Zeit wenigstens…

Auf einmal höre ich eine mir sehr bekannte Stimme, die auf der anderen Straßenseite meinen Namen sagt: „Radaria Altigrea“… Ich grinse breit als ich Cyanus mit seinem Bike sehe. Meine Schicht ist zu Ende.

„Komme gleich“ rufe ich ihm zu und hole meine Sachen aus dem Lokal. Wir starten unsere Bikes und rasen in die Nacht hinein. Mal schauen was wir heute anstellen…

Hank

Es ist Nacht, Zeit aufzubrechen um mich mit Hank, unserem Schieber zu treffen. Ich klappe den Kragen meines Trenchcoats hoch und überprüfe das eingebaute Commlink. Anila meldet sich sofort. Sie gibt mir heute Rückendeckung. Nicht das ich Schwierigkeiten erwarten würde, aber die Gegend ist alles andere als sicher.

Meinen Pickup habe ich sicherheitshalber in einer Quergasse geparkt. Zu fuß bin ich leiser und unauffälliger. Langsam schlendere ich auf eine Lagerhalle zu, die sich in den selben Zustand wie die meisten Gebäude hier befindet. Sie haben alle ihre besten Tage hinter sich, ebenso wie Hank.  Die meisten Straßenlaternen wurden von den ansässigen Gang zu Zielscheiben auserkoren. Dementsprechend schlecht ist das Licht in den Straßen. Das stört mich nicht, ich sehe mehr als genug. Einer der Vorteile als Katzenhybrid.

In der Lagerhalle brennen nur vereinzelt Lampen. Alles kein Problem. Ich gebe das vereinbarte Zeichen und höre Schritte hinter der Türe und ein metallischen Klicken, eine Waffe wurde entsichert. Tztztz, es gibt kein Vertrauen mehr in dieser Welt. Ein rasches, unauffälliges Signal zu meiner Schwester und dann betrete ich die Halle.

„Ajita? Bist du es?“
„Hast du jemanden anderen erwartet?“, lächele ich Hank an und lasse dabei etwas meine Reißzähne blitzen.
„Scheiße, ich weiß nie ob du es bist oder deine verdammte Schwester. Ich wünschte, ihr würdet diese Spielchen lassen.“

„Wir sind Katzen, was erwartest du?“
Mein Lächeln wird noch breiter, „Ich habe brandheiße Ware für dich, Chummer und du bekommst sie für einen Sonderpreis.“
Wir brauchen ihn um unsere Waren loszuwerden, aber dafür, daß er meine Schwester beleidigt hat, hat sich der Preis so eben verdoppelt. Er lernt es wohl nie.

Seine Cyberware im Arm quietscht leise. Jeder andere hätte das vielleicht nicht wahrgenommen, aber mein Gehör ist ausgezeichnet. Man sollte sich nicht billigen Straßenramsch einbauen lassen, man zahlt dabei nur drauf.

Aber nun zum Geschäft…

Daten

„Einen wunderschönen Abend wünsche ich dir. Soll ich dir einen Cocktail mixen oder magst du etwas einfacheres?“

„Ich soll raten? Ja dann!“

Das zauberhafte Wesen vor meinen Augen ist Stammkundin. Sieben Besuche im letzten Monat. Kommt immer am späteren Abend. Ich sollte die Logs unseres Sicherheitssystems wieder mal leeren.

„Einen Tequila Sunrise?“

Ihr zweitliebster Drink, ich will sie ja nicht gleich misstrauisch machen.

„War Intuition, außerdem glaube ich bist du öfter hier.“

Siehe oben. Wie hieß das erste umfassende Überwachungsnetz lang vor meiner Zeit? Facebook? Genau. Ihr öffentliches Profil ist jedenfalls ergiebig.

„Oder einen ‚Long Island Ice Tea‘? Auch mit Tequila und  sehr gefällig am Gaumen.“

Trinkt sie hauptsächlich im Urlaub. Bevorzugt mit Sonne, Strand, Parties und hübschen Jungs.

„Setz dich – an meiner Bar ist immer Platz. Oder bist du mit Freunden hier?“

Ist sie nicht, die Personen aus ihrem üblichen Freundeskreis sind nicht hier.

„Nein? Dann kannst du dich ja ein wenig mit mir unterhalten.“

Sehen wir mal genauer hin. Datenabgleich mit den größten Onlineshops für Mode. Ich weiss wie viel ihr Outfit gekostet hat. Ihre Ohrringe sind erstaunlicherweise kein billiger Tand sondern echt – und alt. Die verkauft ein kleines Antiquariat hier in der Nähe.

Und ihr schönes Gesicht merke ich mir gerne. Auch wie sie im ultravioletten und im infraroten Bereich aussieht. Auch ihr Parfüm kenne ich jetzt.

Wenn ich lustig bin, bringe ich ein paar weitere Sensoren hinter der Bar an. Der hochintegrierte, miniaturisierte Sensor nimmt eine große Palette von Substanzspuren wahr. Oho! Damit lass dich aber nicht von den Cops erwischen.

Sind das Tränen in ihren Augenwinkeln? Die Augen gerötet? Das Makeup ein wenig verwischt?

Glaub mir, es war richtig, dich von deinem Freund zu trennen. Der hat keine schöne Vergangenheit. Und du hast nicht vergessen deinen Beziehungsstatus zu aktualisieren.

„Erfinde einfach eine Geschichte. Ich mag Geschichten.“

Und du schreibst gerne Geschichten. Das Pseudonym im Forum für literarische Nachwuchstalente war nicht schwer zu erraten.

„Der Cocktail geht aufs Haus wenn du mir einen Gefallen tust. Geh bitte rüber zu Diego und sag ihm er soll mal rüberkommen.“

Diego hat erstens Charakter, ist zweitens ein Freund von mir und entspricht drittens zu circa 93,2% deinem Beuteschema.

Kurze Zeit später bin ich uninteressant geworden. Ich wünsch euch viel Glück und kommt bald wieder gemeinsam zu mir in die Bar.